„Nähen ist eine Art permanenter Trend“

September 2021

Persönlichkeiten von hier im Porträt

„Nähen ist eine Art permanenter Trend“

Yvonne Klein hat im vergangenen Jahr einen großen Schritt nach vorn gewagt. Im Interview spricht die Inhaberin der „Schneiderwerkstatt“ über ihre Arbeit und darüber, wie sie von Corona ausgebremst wurde.

Frau Klein, seit Ende November 2020 gibt es die Schneiderwerkstatt in Böckingen. Welche Bilanz ziehen Sie nach den ersten zehn Monaten?
Finanziell gesehen hat mich diese Zeit hart an die Grenze der Belastbarkeit geführt. Trotzdem habe ich meine Entscheidung, die zu klein gewordenen Räumlichkeiten in der Innenstadt auf-zugeben, noch keinen Moment bereut.

Hat Ihnen die Virus-Pandemie einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht?
Allerdings. Unmittelbar nachdem meine Nähkurse am neuen Standort wieder angelaufen waren, kam am 16. Dezember 2020 der erneute Lockdown infolge der zweiten Corona-Welle. Fast sieben Monate, bis zum 5. Juli 2021, ging so gut wie gar nichts. Das war vor allem deshalb frustrierend, weil ich gerade mit Blick auf die Abstandsregeln nach Böckingen umgezogen bin und viel Geld investiert habe, um mich hier neu einzurichten.

Wie lange gibt es die Schneiderwerkstatt schon?
Gegründet wurde sie von Heiderose Hagenbuch 2003 in der Heilbronner Lammgasse. Als langjährige Mitarbeiterin habe ich den Laden 2015 übernommen und am gleichen Ort unter gleichem Namen fortgeführt. Der Fokus lag zu diesem Zeitpunkt auf Maß-Anfertigungen und Änderungen, Nähkurse liefen eher nebenher. Heute ist es genau umgekehrt: Aktuell gibt es bei mir zwölf Nähkurse wöchentlich, außerdem Extra-Nähkurse zu bestimmten Themen und Einzel-Nähstunden.

Gibt es für so viele Kurse genügend Nachfrage?
Nähen ist eine Art permanenter Trend. Und die Lust auf Nähen, auf Selbermachen hat unter Corona nochmals deutlich zugenommen. Mit einem Wort: ja, die Nachfrage ist gegeben. Nun versuche ich allen, die nähen lernen oder ihre Fertigkeiten vertiefen möchten, ein passendes Angebot zu machen. Berufstätige haben nur abends, Eltern von Kita- oder Schulkindern nur vormittags Zeit. Senior*innen kommen gerne am Nachmittag.

Wie viele Teilnehmer*innen gibt es je Kurs?
Maximal acht. Dabei ist gewährleistet, dass genügend Abstand gehalten werden kann. Separate Arbeitstische und etwas mehr als 200 Quadratmeter Platz sorgen dafür, dass man sich zu keiner Zeit gegenseitig auf den Füßen stehen muss.

Und wie lange läuft ein Nähkurs?
15 Stunden insgesamt, verteilt auf fünf Tage je drei Stunden, in der Regel im Zwei-Wochen-Rhythmus. Das hat sich so eingespielt. Aber ich bin offen für individuelle Wünsche, was die Termingestaltung anbelangt.

Gibt es spezielle Kurse für Anfänger*innen und für Fortgeschrittene?
Nein, in fast jedem Kurs gibt es Menschen, die zum ersten Mal an der Nähmaschine sitzen und andere, die schon lange nähen. Bei mir lernt man, was man lernen will. Meine erste Frage an Nähanfänger*innen lautet: Was möchten Sie nähen? Ein Kleid für die Tochter? Oder eine besondere Tasche? Oft geht es gar nicht darum, etwas Neues zu nähen, sondern darum, gekaufte Kleidung anzupassen, also nach Maß zu ändern. Auch das lässt sich lernen.

War es schon immer ihr Ziel, anderen Menschen das Nähen beizubringen?
Das kann man so nicht sagen. Mit der Ausbildung zur Industriefertigerin und im Anschluss zur Damen-Maßschneiderin habe ich zwar mein Hobby zum Beruf gemacht, aber eine zielgerichtete Karriere habe ich nie wirklich angestrebt. Erst nach der Übernahme der Schneiderwerkstatt und der laufenden Nähkurse habe ich gemerkt, dass mir das Vermitteln meiner Kenntnisse ebenso leicht von der Hand geht wie das Nähen selbst. Meine Kurse kamen gut an, sie auszubauen und weiter zu entwickeln war und ist nur folgerichtig. Und so lange es den Teilnehmer*innen so viel Freude bereitet wie mir selbst, stecke ich mir mit Sicherheit kein anderes berufliches Ziel.

Seeräuber Blättle - Blog 09-2021

(Foto Yvonne Klein)